Mehr Praxis geht nicht: Betriebliche Bildungsarbeit wirkt. Das zeigen die Beispiele im neuen Praxishandbuch zur Bildungsarbeit im Wandel.
Kurz vor Weihnachten ist das Praxishandbuch „Industrie im Wandel“ erschienen. Am 16. Januar 2019 hat unser IG Metall Vorstandsmitglied Irene Schulz das Praxishandbuch in der IG Metall-Bildungsstätte Lohr präsentiert. Mit dabei, zahlreiche Autorinnen und Autoren, welche in ihren Beiträgen ihre Kompetenzen, Erfahrungen und ihr Wissen zur Veränderung von Arbeitswelten und der Gestaltung dieser in der Transformation beitragen. Herausgeberin Irene Schulz: “Nur wenn wir die neuen Techniken so einführen und einsetzen, dass sie den Interessen der Beschäftigten und denen unserer demokratischen Gesellschaft entsprechen, kann aus dieser Transformation Fortschritt entstehen.” Mit diesem gehaltvollen und perspektivenreichen Buch liefern die Bildungsarbeiter der IG Metall zu diesen Fragen eine Fülle an Informationen, Analysen und Deutungen.
„Es gibt Bücher, wo der Einband bei weitem der beste Teil ist“, zitiert Irene Schulz Charles Dickens. „Das gilt für dieses Buch nicht“, fügt die Herausgeberin des Praxishandbuchs „Industrie im Wandel – Bildungsarbeit im Wandel“ vor rund 60 Zuhörerinnen und Zuhörern. Darunter sitzen zahlreiche Auditorinnen und Auditoren. Die meisten Artikel hat jeweils ein Tandem aus einer betrieblichen Praktikerin oder einem gewerkschaftlichen Praktiker sowie einer Bildungsexpertin oder einem Bildungsexperten verfasst.
Herausgekommen ist ein Reader aus 40 Beiträgen und Interviews, geschrieben von insgesamt 56 Autorinnen und Autoren. Zusammen fächern sie die gesamte Bandbreite der betrieblichen Bildungsarbeit der IG Metall auf. Das Buch setzt vier Schwerpunkte: Politisierung und Handlungskompetenz, Mitbestimmung und Beteiligung, Arbeit 4.0 – Transformationsprozesse gestalten sowie Leitungskompetenzen, Personalentwicklung, Wissenstransfer.
„Das Praxishandbuch dokumentiert die Wirksamkeit der betrieblichen Bildungsarbeit und zeigt auf, wie schlagkräftig die Bildungsarbeit ist, wenn sie an die Praxis in den Betrieben gekoppelt ist“, sagte Irene Schulz. Die Autorinnen und Autoren schneiden angesichts der unterschiedlichen Transformationsprozesse offene Fragen und den eigenen Bedarf zur Weiterentwicklung an. Gleichzeitig schildern sie in zahlreichen Praxisbeispielen, welche Antworten Betriebsratsgremien, Bildungsexperten und IG Metall auf die Veränderungsdynamiken gefunden haben.
Mit dem Buch will Irene Schulz im Vorfeld des Gewerkschaftstags eine Debatte über die künftige betriebliche Bildungsarbeit anstoßen. Zum Beispiel darüber, wie man Betriebspolitik und Bildungspolitik, Lern- und Gestaltungsprozesse stärker zusammen denken kann. „Darüber sollten wir diskutieren, genauso wie wir Know-how vermitteln und unsere Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit auch in Zukunft stärken können“, so Irene Schulz. Der Betrieb ist dabei das zentrale Handlungsfeld der IG Metall. „Unsere Gestaltungsmacht hängt in großem Maße auch davon ab, wie wir Vertrauensleute, JAV-Vertreter, Betriebsrätinnen und ihre Gremien fortbilden.“
Die Kompetenz, mit Ungewissheiten umgehen
Nachdem Irene Schulz in die Veranstaltung geführt hatte, hatten drei Autoren in einer moderierten Talkrunde das Wort. „Zentrale Herausforderung für Bildungsarbeit angesichts der Transformation ist es aus meiner Sicht, den Kolleginnen und Kollegen einen Kompass zu vermitteln, der ihnen den Weg weist, wo es langgeht, wie sie Solidarität organisieren können und den Wandel hinbekommen“, sagte Jupp Bechtel, der mit seiner Co-Autorin Claudia Peter über die neuen Herausforderungen in der regionalen Bildungsarbeit geschrieben hat. Dazu gehöre die Kompetenz, mit Ungewissheiten umzugehen.
Bildungsreferent Matthias Ebenau aus dem Bildungszentrum Bad Orb präsentierte an diesem Abend die Lösung, die sie in Bad Orb auf die Herausforderung des komplexen Tarifabschlusses 2018 für Betriebsratsgremien entwickelt hatten. Nicht wenige Betriebsräte hat der Abschluss sehr gefordert. „Wir haben dem Bezirk deshalb ein mehrtägiges Seminar vorgeschlagen, weil die komplexe Materie nur mit entsprechend Zeit vermittelbar ist“, sagt Matthias Ebenau. Fünf Mal hat das Bildungszentrum den Kurs abgehalten und darüber 120 Leute geschult. Andere Bezirke haben diese Idee aufgegriffen. So hat die Bildungsarbeit die Betriebsrätinnen und -räte befähigt, im Sinne der Beschäftigten das Tarifergebnis auch praktisch umzusetzen. Wie sie die Seminare terminiert, welche Methoden sie dabei eingesetzt und was diese bewirkt haben, beschreibt Matthias Ebenau im Praxishandbuch zusammen mit seinem Tandempartner Frank Steininger.
Was heißt Solidarität heute und morgen?
Eine gute Antwort für Herausforderungen ist für den Supervisor und Coach Sebastian Pieper eine Ausbildungsreihe, die sich auf ein konkretes Vorhaben konzentriert. Im Buch beschreibt er zusammen mit Gerd Schaible, wie Betriebsräte von Voith eine solche Ausbildungsreihe nutzten, um auf beteiligungsorientierte Weise eine Betriebsvereinbarung „Mobiles Arbeiten“ zu verfassen und dabei viele unterschiedlichen Interessen zu berücksichtigen. Zuvor hatte das Gremium Mitarbeiter- und Führungskräfte-Workshops veranstaltet. „Da kamen interessanter Weise heraus, dass alle zwar eine klare Regelung wollten, nicht jedoch eine Überregulierung, denn bilaterale Deals sollten noch möglich sein“, fasste Sebastian Pieper das Ergebnis zusammen und erntete schallendes Gelächter.
Die Beiträge der drei Autoren vermittelte einen guten Eindruck, welche unterschiedlichen Aspekte und Herausforderungen die Autorenteams im Praxishandbuch thematisieren und wie unterschiedlich Lösungen ausfallen können. Eins ist klar, die betriebliche Bildung muss sich weiterentwickeln. „Sie kann das aus einer Position der Stärke tun, weil IG Metall, Bildungszentren, Bezirke und Betriebsratsgremien über einen riesigen Fundus an Expertise verfügen“, resümierte Irene Schulz.
Bei aller erfolgreichen Wissensvermittlung ist es für Irene Schulz auch notwendig, auf die Gesellschaftsbilder zu schauen, die Metaller und Metallerinnen mit sich tragen und wie sich diese vielleicht verändern. Welche Werte gelten heute noch? Was heißt Solidarität heute – was heißt sie morgen? Das sind wichtige Fragen, denn „ohne Durchsetzungsmacht und Solidarität können wir nicht gestalten“. Um diese Fragen zu diskutieren und Antworten zu finden, braucht es Räume; Räume wie sie zum Beispiel die Bildungszentren verfügbar machen – fernab von Siri und Alexa.
Irene Schulz (Hrsg.): Praxishandbuch Industrie im Wandel – Bildungsarbeit in Bewegung; Bund-Verlag, Frankfurt am Main, 384 Seiten, 39,90 Euro, ISBN 978-3-7663-6822-5
Mehr Praxis geht nicht: Der Bundverlag gewährt in seiner Rezension übrigens eine handlingsfreundliche Leseprobe, die den direkten Einblick in das Inhaltsverzeichnis sowie das Vorwort von Irene Schulz erlaubt.